Gesandtenfriedhof

Lisa Gärtner

Post-Mortem im bi-konfessionellen Regensburg – Wohin mit den Toten?

Dass der Reichstag seit 1663 „Immerwährend“ wurde, veranlasste viele Gesandte, Regensburg zu ihrem Wohnsitz zu machen. Sie lebten von da an nicht nur in der Reichsstadt, sie starben auch dort. Für die katholischen Gesandten gab es im bi-konfessionellen Regensburg mehrere Friedhöfe, auf denen sie sich Grabstätten mit prächtigen Epitaphien kaufen konnten. Auch die protestantischen Gesandten wollten sich derart repräsentiert sehen. Es gab jedoch ein Problem. Die Wirren des Dreißigjährigen Krieges hatten dafür gesorgt, dass beide evangelischen Friedhöfe der Reichsstadt zerstört wurden. Wo sollten die protestantischen Gesandten also ihre Toten begraben? 

Vom Kirchhof zum Friedhof – Begräbnisse bei der Dreieinigkeitskirche

1631 wurde die Dreieinigkeitskirche als protestantische „Neue Kirche“ fertiggestellt. Im Süden und Osten der Kirche verläuft ein Kirchhof. Dieser Kirchhof war wohl aufgrund seiner geringen Breite und der Schwierigkeit Wasser abzuleiten, nie als Friedhof geplant. Doch die Dreieinigkeitskirche wurde als reformatorisches Pendant zum Regensburger Dom gesehen. Das Gotteshaus war ein bedeutender und prestigeträchtiger Ort in zentraler Lage mit einem Kirchhof, der von vielen Menschen beim Be- und Austreten der Kirche passiert wurde. Es wurde klar: wo besser konnten die protestantischen Gesandten ihre Toten begraben?

104 Begräbnisse fanden auf dem Kirchhof in der Zeit zwischen 1641 und 1806 statt. Bei den beigesetzten Personen handelt es sich um 50 evangelische Gesandte, derer 49 Familienangehörige und 6 Mitglieder zweier Exulantenfamilien.

Epitaphe auf dem Gesandtenfriedhof an der Südseite der Dreieinigkeitskirche (Foto: HH58, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Leichenfeier – Das Begräbnis eines Kur-Sächsischen Gesandten

Die Gesandten sollten Macht und Prestige ihres jeweiligen Herrschers repräsentieren. Das spiegelte sich in Sprache, Kleidung, und ebenso in den Verhaltensweisen der Diplomaten wider. Bei ihren Beisetzungen wollten sich die Gesandten angemessen in Szene gesetzt sehen, obwohl viele von nicht adeliger Abstammung waren. Bei den Gesandten verschmolz das Amt, das sie trugen, mit ihrer Person. So ließen sie es sich nicht nehmen wie „grosse Ministri“ behandelt zu werden und bei ihrem Tod so bestattet zu werden, „wie wenn es der Kurfürst selbst wäre“. Ein Beispiel eines solchen Begräbnisses auf dem Gesandtenfriedhof kann man hier nachlesen

,,Den 6. November starb der Kur-Sächsische Gesandte Joh. Georg von Ponikau. Seine Leiche wurde am 6. Dec. Auf die solemnste Weise, wie wenn es der Kurfürst selbst wäre, in den Kirchhof der Dreieinigkeitskirche zur Erde gestattet. Der Sarg war mit den Gesandtschaftlichen Wappen behangen mit 6 Pferden gefahren, 2 Marschälle und die Träger, Kammerdiener, gingen voraus, dann folgtten sämmtliche Bediente und Haus-Offizianten des Verstorbenen, dann kam der Procurator und 1 Einspänniger mit langen Flören (??). Der Kurbrandenburgische Gesandte von Schwarzenau, in einem schwarz drapierten Wagen mit 6 Pferden unter Vortretung (??) seiner Dienerschaft und Haus-Offiziers, sowie 2 Marschälle, 1 Einspänniger und Wachtschreiber (?) führte die Trauer und hierauf kamen in einer 2spännigen Rutsche die beiden Kur-Sächsischen Legations-Sekretärs Mirus (?) und Herrich und der Kanzellist Dertel, sodann noch 3 Wagen mit Geistlichen, Doctoren und anderen Personen, beh jedem 2 Marschälle und 2 Wachtschreiber. Beh der Drehfaltigkeitskirche angekommen, wurde der Sarg erst in die Kirche gebracht und eine Leichenrede gehalten, dann im anstossenden Friedhof begraben.“

Christian Gottlieb Gumpelzhaimer: Regensburg’s Geschichte. Sagen und Merkwürdigkeiten 3. Vom Jahre 1618 bis 1790,1677, Münchener Digitalisierungs Zentrum, Digitale Bibliothek, https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10385939?page=610,611 [zuletzt aufgerufen am 07.01.2024]

Familienleben der Gesandten – die Geschichte hinter dem Epitaph Thomas

Das Familienleben der Gesandten ist auch einen Blick wert. Der Immerwährenden Reichstag machte eine ständige Anwesenheit in der Stadt notwendig. Die verheirateten Gesandten nahmen also ihre Frauen und gegebenenfalls Kinder mit nach Regensburg. Es kam aufgrund der hohen Kindbettsterblichkeit häufig vor, dass ein Gesandter in seiner Amtszeit seine Frau verlor. Hier konnte jedoch die Regensburger Gesellschaft als Heiratsmarkt genutzt werden, wovon sowohl verwitwete als auch unverheiratete, betagtere als auch jüngere Gesandte Gebrauch machten. Johann Thomas (1624 – 1679), Gesandter des Herzogs von Sachsen-Altenburg, errichtete hier auf dem Gesandtenfriedhof ein Epitaph für seine verstorbene Ehefrau im Jahr 1671, sieben Jahre nach ihrem Tod.

Johann Thomas lernte seine erste Frau 1653 auf dem (noch nicht Immerwährenden) Reichstag zu Regensburg kennen. Zehn Jahre nach der Hochzeit verstarb die junge Ehefrau Maria Elisabeth, nachdem das Paar zum ständigen Reichstag dauerhaft nach Regensburg gekommen war. Ihre Grabplatte auf dem Gesandtenfriedhof wurde mit einem lateinischen Gedicht versehen, welches der Ehemann für sie schrieb. Erst sieben Jahre nach dem Tod Maria Elisabeths ließ Johann Thomas das Epitaph zu ihrem Grab errichten. Er wollte damit wohl sein Gewissen beruhigen, denn er hatte erneut geheiratet und sein Versprechen im Gedicht gebrochen. Seine zweite Frau war eine verwitwete Gesandtenfrau, die er wahrscheinlich schon vor dem Tod ihres Ehemannes kennen lernte, natürlich in Regensburg.

Die deutsche Übersetzung der lateinischen Inschrift auf der Grabplatte von Albert Klose (2015), ein „Liebesgedicht“, kann man hier anhören – eingesprochen von der Autorin dieses Textes…

…und mitlesen

,,Der Liebe zur Gattin. Die blühende Maria Elisabeth Bohn Gemahlin des Juristen Johannes Thoma hat nach allen erfüllten Pflichten einer guten Ehefrau im Jahre 1664 im Monat April den zarten Körper, die Hülle einer schöneren Seele unter diesem Marmor niedergelegt, der irgendwann einmal (Herr, vermehre uns den Glauben) mit großem Zuwachs an Vollkommenheit wieder zu gewinnen ist. O süße Brust, die du aufs engste vereinigt mit mir gelebt hast durch zehn Jahre und zehn Tage. Jetzt, nachdem unsere Umarmungen gelöst sind, ruhe sanft im Schosse der Mutter Erde und du glücklichste Seele noch sanfter im Schoße des Vaters Abraham den Gatten erwartend, wenn es Gott gefällt, nach wenigen (Jahren). Der hoch verdienten Gattin setzte der tieftraurige Gatte diesen Grabstein. Noch dieses eine liebe Seele: LTNNN Deinen Platz wird niemals eine neue erlangen.“

Mathias van Somer: Maria Elisabeth Thomae geb. Bohn, Druck, Deutsche Digitale Bibliothek

Ein Skandal – die Geschichte hinter dem Epitaph Metternich

Es gibt noch ein weiteres Epitaph, das erst mehrere Jahre nach dem Tod des Bestatteten errichtet wurde. Es ist das Epitaph des Mitgesandten und Gesandten-Sohnes Ernst-Eberhardt von Metternich (1691 – 1717). Es ist prunkvoll ausgestattet. Eine der aufsehenerregendsten und skandalösesten Geschichten des Gesandtenfriedhofs verbirgt sich dahinter.

Die Geschichte über wechselhafte Religion und Geheimniskrämerei kann man hier anhören …

… und mitlesen:

,,Das Epitaph von Ernst Eberhard von Metternich wurde 11 Jahre nach dessen Tod errichtet. Maria Anna v. Metternich, seine Mutter, gab es als Antwort auf die Errichtung eines anderen Epitaphs aus dem Vorjahr in Auftrag. Das Epitaph ihres Ehemanns. Doch dieser ist nicht auf dem protestantischen Gesandtenfriedhof begraben. Denn: Er war zwei Tage vor seinem Tod zum Katholischen Glauben konvertiert, genau wie seine Tochter, das einzig noch lebende Kind. Und das alles hinter dem Rücken der Ehefrau und Mutter. Über die Gründe kann man spekulieren. Vielleicht wollte Metternich das Erbe der katholischen Verwandten des verstorbenen Ehemanns der Tochter sicherstellen. Dies konnte nur erfolgen, wenn seine Tochter und ihre Kinder dem katholischen Glauben beitraten. Doch die Tochter wollte nur, wenn der Papa es auch täte. So schmiedeten sie im Geheimen Pläne. Zwei Tage nun vor dem Tod des Gesandten Metternichs wurde die Ehegattin stutzig. Der bettlägerige Ehemann verhielt sich seltsam. Ein fremder Mann, ihr vorgestellt als erfahrener Arzt, war bei ihm. Sie trug schon ihrem Beichtvater auf, er solle ihren Gatten zu Rede stellen, da warf sich ihr die Tochter vor die Füße: Sie würde alles erzählen, was mit dem Papa geschehen. Er hätte gerade eben die Konversion zum katholischen Glauben vollbracht. Maria Anna von Metternich war erschüttert. Ihr Mann bekam ein die Protestanten provozierendes Epitaph auf dem katholischen Friedhof bei St. Emmeram. Und so sollte ihr protestantischer Sohn auf dem protestantischen Friedhof, dem Gesandtenfriedhof, auch ein prächtiges Denkmal bekommen.“


Literaturhinweis

Klaus-Peter Rueß: Begräbnisse und Grabdenkmäler auf dem „Kirch-Hoff zur Heyligen Dreyfaltigkeit“ bei der Dreieinigkeitskirche in Regensburg, Regensburg 2016, XXXI-XXXIII, 177-179.

Albrecht Klose /Klaus-Peter Rueß: Die Grabinschriften auf dem Gesandtenfriedhof in Regensburg, in: Regensburger Studien 22. Hg: Archiv der Stadt Regensburg, Regensburg 2015. 9-11, 36-37.

Christine Gottfriedsen: „Hört einmal auf zu plaudern und merkt auf die Predigt.“ Evangelisch in Regensburg von 1517 bis heute, in: Regensburger kleine Beiträge zur Heimatforschung. Heft 9. Hg: Gemeinde der Neupfarrkirche Regensburg mit freundlicher Unterstützung des Kulturreferats der Stadt Regensburg und des Donaudekanats, Regensburg 2018, 46-50.

Barbara Stollberg-Rillinger: Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, Hg. C.H. Beck. München 2008, 267.

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