‚Judensau‘ am Regensburger Dom

Anne Mariss

Die sogenannte ‚Judensau‘, eine antijüdische Schmähskulptur aus dem 14. Jahrhundert, befindet sich in sieben Metern Höhe an einem der westlichen Pfeiler des Regensburger Doms. Dargestellt ist eine Sau, an deren Zitzen zwei Juden saugen – einer von ihnen ist noch am spitz zulaufenden Judenhut zu erkennen. Ein weiterer jüdischer Mann hält das Ohr der Sau. Obwohl Juden im Alten Reich unter einem besonderen Schutz der Herrschenden standen, lebten sie stets in Gefahr von Vertreibung. Die Skulptur ist damit ein steinernes Dokument für die wechselhafte Geschichte der Juden im Alten Reich zwischen Privilegierung und Verfolgung. Januar 2023 wurde eine neue Informationstafel unterhalb der Judensau angebracht, die über diesen menschenverachtenden Schandstein aufklärt und vor antisemitischer Hetze warnt.

,Judensau‘ an der Südwestseite des Regensburger Doms (Fotot: Stefan Effenhauser, Bilddokumentation Stadt Regensburg)
Informationstafel unterhalb der Skulptur am Dom (Foto: Stefan Effenhauser, Bildokumentation Stadt Regensburg)

Die sogenannte ‚Judensau‘, eine antijüdische Schmähskulptur aus dem 14. Jahrhundert, befindet sich in sieben Metern Höhe an einem der westlichen Pfeiler des Regensburger Doms. Dargestellt ist eine Sau, an deren Zitzen zwei Juden saugen – einer von ihnen ist noch am spitz zulaufenden Judenhut zu erkennen. Ein weiterer jüdischer Mann hält das Ohr der Sau. Obwohl Juden im Alten Reich unter einem besonderen Schutz der Herrschenden standen, lebten sie stets in Gefahr von Vertreibung. Die Skulptur ist damit ein steinernes Dokument für die wechselhafte Geschichte der Juden im Alten Reich zwischen Privilegierung und Verfolgung. Januar 2023 wurde eine neue Informationstafel unterhalb der Judensau angebracht, die über diesen menschenverachtenden Schandstein aufklärt und vor antisemitischer Hetze warnt.

In Stein gehauener Antijudaismus

Antijüdische Steinskulpuren wie die ,Judensau‘ am Regensburger Dom sind eine Besonderheit des Heiligen Römischen Reichs und kommen bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich im deutschen Sprachraum vor. Das Motiv findet sich in Variationen an zahlreichen vormodernen Gebäuden und öffentlichen Plätzen wie Kirchen oder Brückentoren. Seit der Erfindung des Buchdrucks wurden solch obszöne Darstellungen massenhaft verbreitet und unter die Leute gebracht. Das Schwein galt im Judentum als unrein und dreckig, sodass dieses Tier und seine symbolische Bedeutung als besonders ‚geeignet‘ erschien, das Judentum zu schmähen und sprichwörtlich durch den Dreck zu ziehen. In seinem antijüdischen Pamphlet Vom Schem Hamphoras (1543) schrieb Martin Luther über die Wittenberger ‚Judensau‘: „Hinter der Sau steht ein Rabbiner, der hebt der Sau das rechte Bein empor und mit seiner linken Hand zieht er den Bürzel (d. i. Schwanz) über sich, bückt (sich) und guckt mit großem Fleiß der Sau unter den Bürzel in den Talmud hinein, als wollte er etwas Scharfes und Sonderliches lesen und ersehen. Daselbst haben sie gewißlich ihr Schem Hamphoras.“ Der Reformator verhöhnte damit nicht nur eine der wichtigsten religiösen Schriften des Judentums, sondern auch den jüdischen Gottesnamen Ha-Schem Ha-Mephorasch in abscheulicher Weise.

Verbreitung der ,,Judensau“-Darstellungen. (Hermann Rusam: „Judensau“-Darstellungen in der plastischen Kunst Bayerns, 3)

Die Juden standen seit dem hohen Mittelalter unter dem Schutz des Kaisers als Reichsoberhaupt, später dann unter dem der geistlichen und weltlichen Fürsten sowie der reichsunmittelbaren Ritter, Herren und Grafen („Schutzjuden“). Für ihren Schutz vor Pogromen und Vertreibung zahlten die Juden hohe Abgaben und Steuern an die jeweiligen Landesherrn. In Regensburg hatte sich eine der größten jüdischen Gemeinden des Alten Reiches angesiedelt, die unter dem Schutz der Kaiser als obersten Stadtherren der Reichstadt stand. Die grundsätzliche Akzeptanz der Juden innerhalb der Stadtmauern schützte sie dennoch nicht vor Verachtung und Hohn, zumal die ‚Judensau‘ am Dom gegenüber dem jüdischen Wohnviertel angebracht war und damit in unmittelbarer Nähe zu den Verspotteten lag.

Als sich mit dem Tod Kaiser Maximilians I. (1459–1519) ein Zeitfenster für die Vertreibung der Juden bot, zögerte der Stadtrat nicht lange und verwies die Juden der Stadt. Nachdem das jüdische Wohnviertel mitsamt der Synagoge dem Erdboden gleichgemacht worden war, entstand auf den Trümmern der jüdischen Wohnhäuser die provisorische Wallfahrtskirche zur Schönen Madonna, um den ‚Sieg‘ über die Juden zu feiern. Noch kurz vor ihrer Zerstörung hatte der Regensburger Stadtherr und Künstler Albrecht Altdorfer (ca. 1480–1538), der eine zwielichtige Rolle in der Vertreibung der Juden aus Regensburg spielte, Zeichnungen der jüdischen Synagoge angefertigt. Nach der Einführung der Reformation im Jahr 1542 wurde der Sakralbau fortgesetzt und als erste evangelische Pfarrkirche (Neupfarrkirche) genutzt.

Albrecht Altdorfer: Innenansicht der Regensburger Synagoge, Radierung, 1519, MET Museum, Public Domain, https://www.metmuseum.org/art/collection/search/336256
Michael Ostendorfer: Ansicht der Wallfahrtskirche zur Schönen Maria (am Ort des früheren Judenviertels), Holzschnitt, 1610, MET Museum, Public Domain, https://www.metmuseum.org/art/collection/search/678895

Auch wenn die Juden 1519 aus der Stadt vertrieben worden waren, bedeutete dies nicht das Ende des jüdischen Lebens in Regensburg. Zwar verstand sich Kaiser Karl V. (1500–1558) auch als oberster Schutzherr der Juden. Jedoch erließ er für Regensburg ein Privileg der Judenfreiheit, das dem Stadtrat das Verbot von Juden in der Stadt zugestand. Während des 16. und 17. Jahrhunderts fanden vermehrt Reichstage in Regensburg statt; nach 1663 verstetigte sich diese Reichsversammlung zum Immerwährenden Reichstag. Für die Versorgung der Gesandten war der jeweils regierende Reichserbmarschall aus dem Geschlecht Pappenheim zuständig, das enge Verbindungen zu jüdischen Kaufleuten pflegte und diese mit der Versorgung der Kongressteilnehmer beauftragte. Die Wiener Hofjüdin Gertraut Munk versorgte Kaiser Rudolf II. (1552–1612) auf dem Reichstag von 1608 etwa mit notwendigen Dingen.

Obgleich es stets Proteste gegen die erneute Ansiedlung von Juden seitens des Stadtrats gab, lebten seit dem Ende des 17. Jahrhunderts wieder jüdische Familien in Regensburg. Trotz dieser Neuanfänge gab es immer wieder Konflikte zwischen der jüdischen Gemeinde, der Stadtbevölkerung und dem Rat. Nach dem Reichsdeputationshauptschluss (1803) wurden Forderungen nach einer bürgerlichen Gleichberechtigung seitens der Juden laut. Das Bayerische Judenedikt von 1813 hob zunächst die jüdische Gerichtsbarkeit auf und erlaubte den Grunderwerb, eine vollständige rechtliche Gleichstellung der Juden erfolgte dann aber erst mit der Gründung des Deutschen Reichs im Jahr 1871.

Der protestantische Theologe und Orientalist Johann Christoph Georg Bodenschatz über die Situation der Juden in Regensburg:

„In Regensburg sollen vor uralten Zeiten ebenfals Juden gewesen seyn. Wenigstens will man behaupten, daß sich schon 300. Jahr vor Christi Geburth Juden in dieser Stadt aufgehalten haben. Ehedessen haben sie sich sehr wohl darinnen befunden, indem sie Kaiser Friedrich III. wie seine eigene Unterthanen geschützet; eil sie sich aber nach der Zeit durch übele Aufführungen sehr verhast gemacht, so jagte sie Bischoff Johannes III. auf einmal zum Lande hinaus. Sonsten stunden sie eigentlich unter dem Schutz der Hertzoge in Bayern, und haben sich bald zu dieser, bald zu jener Linie geschlagen: aber Kaiser Maximilianus I. nahm sie alsdann in seinen Schutz, um sich wegen der gehabten Unkosten in dem Bayerischen Krieg an ihnen erhohlen zu können. Nachdem nun dieser Kaiser Anno 1589 [sic!, es muss 1519 heißen] starb, so ersahe die Stadtobrigkeit ihren Vortheil, und verjagte sie sämmtlich, lies auch an dem Platz, wo ihre Synagog gestanden, eine Christliche Kirche bauen. […] Seitdem der Reichstag in Regensburg gehalten wird, haben sich die Juden wieder eingeschlichen, so, daß hin und wieder unter den Christen einige Jüdische Familien wohnten, und sonderlich von den Sächsischen Gesandten geschützes wurden. Anno 1712. aber, im Januario lies der König in Pohlen [Kurfürst Friedrich August II., König August III. 1696–1763], als Erzreichsmarschall ein scharfes Rescript ergehen, daß sich, die in Regensburg befindlichen Schutzjuden binnen 4. Wochen aus der Stadt begeben sollten, und das geschahe auf inständiges Anhalten der Bürgerschaft, nachdem sich die Anzahl der Juden täglich vermehrte […]. Es müsse dieses Edict nicht lange gegolten haben, weil sich noch jetzo Juden daselbst aufhalten, von welchen sich sehr wenige unter des Raths, die meisten aber unter der Gesandtschaft Protection befinden. Ja es begaben sich so gar Anno 1713. wegen der Pest aus Wien sehr viele Juden nach Regensburg, und boten der Stadt 40000. Gulden an, daß sie beständig daselbst wohnen dürften, es wurde ihnen aber abgeschlagen, und Regensburg hatte diesen Vortheil davon, daß es durch diese fremde Gäste von der Pest angestecket wurde.“

Johann Christoph Georg Bodenschatz, Kirchliche Verfassung der heutigen Juden sonderlich derer in Deutschland […], Bd. 1, Frankfurt 1749, 186f.

In seinem vierbändigen Hauptwerk Kirchliche Verfassung der heutigen, sonderlich der deutschen Juden, mit Kupfern aus dem Jahr 1749 beschreibt der protestantische Theologe und Orientalist Johann Christoph Georg Bodenschatz (1717–1797) die Geschichte der Juden im Heiligen Römischen Reich. Wenngleich seine historische Darstellung eine wichtige Quelle für die Geschichte der Juden in Deutschland ist, da sie zahlreiche Darstellungen von religiösen Ritualen und Bräuchen enthält, entbehrt sie nicht der typischen zeitgenössischen Missbilligung jüdischer Kultur. In dem Textausschnitt nimmt Bodenschatz Bezug auf die Geschichte der Juden in der Reichsstadt Regensburg seit dem Mittelalter und beschreibt ihre wirtschaftliche Bedeutung für den Reichstag.

Beschreibung der ‚Judensau‘ am Brückenturm in der Frankfurter Judengasse durch den französischen Reisenden Jean Du Mont:

„Das Besondere war, dass sie, während sie so behutsam für die Sicherheit der jüdischen Nation arbeiteten, den Befehl gaben, dass ihre Schande all jenen, die ihre Stadt betraten oder verließen, durch eine Darstellung, welche sich noch heute am Tor von Frankfurt auf der Brückenseite befindet, enthüllt wurde. Dort sieht man ein totes Kind liegen, als ob es getötet worden wäre, und darunter einen Juden, der auf ein Schwein aufgestiegen ist und anstatt eines Zaumzeugs dessen Schwanz in der Hand hält. Ihm folgt eine Jüdin, welche auf einer Ziege reitet, gefolgt von einem anderen Juden, in Erwartung, den schmutzigsten Teil dieses stinkenden Tieres zu lecken, und für den letzten Zug der Satire ein Teufel, der ihnen zuruft: au weyh Mauschy, au weyh, au weyh.“

Jean Du Mont (auch Dumont, 1667–1727), zit. nach Samuel Nathanael Karp, Interkonfessionelle Stadträume in Reisebeschreibungen des 17. Jahrhunderts: Nürnberg – Frankfurt – Regensburg, Frankfurt am Main 2020, 247.

Auf den ersten Blick mag es erstaunen, dass sich der Großteil der frühneuzeitlichen Reisebeschreibungen über Judensau-Darstellungen ausschweigt. Auch für Regensburg ist keine Reisebeschreibung überliefert, in denen die ‚Judensau‘ am Dom Erwähnung findet. Dafür kann es mehrere Gründe geben. Am wahrscheinlichsten ist es, dass den meisten christlichen Reisenden diese antijüdischen Schmähskulpturen so vertraut waren, dass sie es nicht für besonders erwähnenswert hielten. In Du Monts Beschreibung der Frankfurter ‚Judensau‘ sticht nicht nur die schmähende, diskriminierende Wirkung der Skulptur für die jüdische Stadtbevölkerung deutlich heraus. Auch die Doppelzüngigkeit der christlichen Stadtobrigkeit wird bloßgestellt, die einerseits Profit aus der Präsenz von Juden in der Stadt schlug, andererseits für deren öffentliche Verspottung sorgte.


Literaturhinweis

Walther Bienert: Martin Luther und die Juden. Ein Quellenbuch mit zeitgenössischen Illustrationen, mit Einführungen und Erläuterungen, Frankfurt am Main 1982.

Eva Haverkamp-Rott: Jüdisches Leben im mittelalterlichen Regensburg, Regensburg 2019.

Samuel Nathanael Karp: Interkonfessionelle Stadträume in Reisebeschreibungen des 17. Jahrhunderts. Nürnberg – Frankfurt – Regensburg, Berlin 2020.

Hermann Rusam: „Judensau“-Darstellungen in der plastischen Kunst Bayerns. Ein Zeugnis christlicher Judenfeindschaft, Hannover 2007.

Birgit Wiedl: Laughing at the Beast. The Judensau. Anti-Jewish Propaganda and Humor from the Middle Ages to the Early Modern Period, in: Albrecht Classen (Hg.): Laughter in the Middle Ages and Early Modern Times. Epistemology of a Fundamental Human Behavior, its Meaning, and Consequences, Berlin u.a. 2010, 325–364.

Jean Du Mont: Voyages de Mr. Du Mont, en France, en Italie, en Allemagne, a Malthe, et en Turquie. Contenant les Recherches & Observations Curieuses qu’il a faites en tous ces Païs. Tant sur Mœurs, les Coûtumes des Peuples, leurs différens Gouvernemens & leurs Religions; Que sur l’Hiſtoire Ancienne & Moderne, la Philosophie & les Monumens Antiques. Le tout enrichi de Figu- res. Bd 4. Den Haag 1699.

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