Görtz’ Weg nach Regensburg – Der Immerwährende Reichstag als Brücke
1737 im hessischen Schlitz geboren, wurde Graf Johann Eustach von Schlitz, genannt Görtz, nach Studienaufenthalten in Leiden und Straßburg 1755 Privatsekretär des weimarischen Kanzlers, Heinrich Graf von Bünau. Nach einem Intermezzo als Erzieher der Söhne Anna Amalias, der Herzogin von Sachsen-Weimar, gelang ihm 1776 die Annäherung an Friedrich den Großen. Dieser betraute ihn mit diversen diplomatischen Missionen, die Görtz 1779 unter anderem an den für Preußen so wichtigen Gesandtschaftsposten nach St. Petersburg führten. 1787 wurde Görtz nach Regensburg versetzt, wo er bis zum Untergang des Heiligen Römischen Reichs (1806) Kurbrandenburg auf dem Immerwährenden Reichstag vertrat. Nun auch im engeren Sinn ‚Reichspolitiker‘ führte er bei der Versammlung der Reichsstände am Ende neun Stimmen und setzte durchaus erfolgreich die Interessen Preußens durch. Er nahm am Rastatter Kongress (1797-1799) teil und war am Reichsdeputationstag in Regensburg (1802/1803) beteiligt.
Der ehemalige preußische Diplomat in der oberpfälzischen Stadt
Besonders interessant ist die späte Integration des weitgereisten und mit allen diplomatischen Wassern gewaschenen Mannes in die Gesellschaft Regensburgs. Nachdem das Alte Reich nicht mehr existierte, bat Görtz 1807 bei Friedrich Wilhelm III. um seine Entlassung, verzichtete auf eine Pension und ließ sich nun dauerhaft in Regensburg nieder. Eher zurückgezogen lebte er in der Unteren Bachgasse 15. Seine wechselvollen Erfahrungen als Diplomat verarbeitete er in Publikationen – unter anderem den 1810 erschienenen Mémoires et actes authentiques relatifs aux négociations qui ont précedé le partage de la Pologne. Posthum erschien das auf Nachlassschriften basierende Werk Historische und politische Denkwürdigkeiten (1827), in der Görtz’ reichspolitisches Engagement wiederholt zur Sprache kommt. Der Reichspatriotismus nicht völlig abgeneigte Diplomat wollte zwar „Deutschland und der deutschen Freiheit dienen“, doch hatte er dabei immer einen von Preußen dominierten Reichsverband vor Augen. 1801 stellte Görtz sein diplomatisches Verhandlungsgeschick in die Dienste der Reichsstadt Regensburg und erwarb sich dadurch große Beliebtheit. Als der Reichstag zur Ratifikation des Friedens von Lunéville zusammentrat, erreichte er, dass alle französischen Truppen die unter der Besatzung leidende Stadt innerhalb 24 Stunden verlassen mussten. Von politischen Gegnern als ‚Orakel von Regensburg‘ verspottet, erhielt er auch den Ehrennamen ‚Licht von Regensburg‘.
Das Denkmal – Architektonische Details und Botschaft
Nach Görtz’ Tod entschloss man sich dazu, ihm im Alleengürtel der Stadt ein bleibendes Denkmal zu setzen. 1822 sind erste Pläne für das Projekt nachweisbar, das von der Harmonie-Gesellschaft vorangetrieben und 1824 vollendet wurde. Leo von Klenze – berühmtester Vertreter klassizistischer Architektur – lieferte den Entwurf. Klenze konzipierte eine quadratische Platte auf gestuftem Unterbau, über der sich ein kubischer Block erhebt, der durch ein Gesims mit Eierstabornament abgeschlossen wird. Der Kubus wird von einem Baldachin bekrönt, den vorne zwei Hermenpfeiler tragen. Die Bedachung des Gehäuses bilden Architrav, glatter Fries und umlaufende Ornamente an der Spitze. Vorne wird in bronzierten Buchstaben der Name des Geehrten genannt. Der Unterbau liefert weitere Informationen zur Persönlichkeit von Görtz, der als „ausgezeichneter Staatsmann und Bürger“ bezeichnet wird. Wappenschilde am Rücken des Unterbaus zeigen das Wappen von Schlitz (zwei Schrägbalken) und das seiner Ehefrau (Fasan auf Berg). Wird über den ‚Staatsmann‘ ein indirekter Reichsbezug hergestellt, kommt dieser ansonsten nur begrenzt zum Ausdruck. Allerdings werden – neben anderen positiven Eigenschaften – Görtz’ „Bürgersinn“ und seine „Vaterlandsliebe“ hervorgehoben. Die früher Ludwig Schwanthaler zugewiesene Kolossalbüste des Geehrten stammt tatsächlich vom Münchner Bildhauer Joseph Heinrich Kirchmayer. 1825 noch in Arbeit, wurde sie im Lauf des Jahres an ihren heutigen Bestimmungsort gebracht.
Görtz war schon vor seiner Zeit in Regensburg ein ausgewiesener Kenner der Reichspolitik und brachte dieses Wissen bei seiner Gesandtschaftstätigkeit in Russland ein. Hier wird aus einer Denkschrift der 1780er Jahre zitiert, in der er eine noch stärkere Präsenz Russlands im Alten Reich anregt. Zunächst spielt er auf die Tatsache an, dass Russland auf dem Immerwährenden Reichstag in Regensburg („am Sitze des deutschen Reichstags“) eine Komitialgesandtschaft unterhielt. Dann brachte er die Idee ins Spiel, auch an anderen Orten („im Mittelpunkte von Deutschland“) Präsenz zu zeigen, womit er Frankfurt und Mainz meinte. Das Alte Reich zeigt sich hier als multipolares Ordnungssystem, in dem Regensburg eine zentrale Rolle einnahm.
Anlässlich der Errichtung des Denkmals für Görtz – „einem der verdientesten Staatsmänner und edelsten Menschenfreunde seines Zeitalters“ – erschien im Regensburger Wochenblatt vom 19. Mai 1824 eine Einladung an alle Bürger. Auffällig ist der Bezug auf universale Werte, Bayern und die Stadt Regensburg, während andere bedeutende Aspekte wie Görtz’ Tätigkeiten auf dem Immerwährenden Reichstag keine Rolle spielen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich das Alte Reich 18 Jahre nach seiner Auflösung nicht mehr als positiver Referenzpunkt eignete und neue politische Konzepte Fuß fassten.
Die mit Abstand bekannteste bildliche Darstellung des Monuments zeigt nicht das Denkmal nach seiner Fertigstellung, sondern einen Entwurf. Zwar ähnelt die Lithographie dem heutigen Zustand in vielen Details, allerdings unterscheiden sich die Schriftzüge, die hier teils noch in Latein ausgeführt wurden. Letztlich entschied man sich – abgesehen von den Jahreszahlen – für deutsche Inschriften.
Das Denkmal kommt in seinem heutigen Zustand dem bildlich überlieferten Entwurf von Leo Klenze sehr nahe. Allerdings gibt es kleinere Unterschiede. Auffällig ist erstens die Wahl für Deutsch statt Latein. Zweitens erscheint der Bau heute weniger monumental, da der Boden der Umgebung höher ist als ursprünglich angedacht und so die Höhe des Baus verringert wird. Frontal wird vermerkt, dass das Denkmal den „Tugenden“ des Geehrten gewidmet ist. Hinter diesem weiten Begriff verbergen sich auch politische Tätigkeiten. Im Vorfeld des bayerischen Erbfolgekriegs (1778/1779) setzte Görtz sich etwa gegen die österreichischen Ansprüche auf Teile Bayerns ein und zog Herzog Karl II. von Zweibrücken dabei geschickt auf seine Seite.
Obwohl Bezüge auf die Gesandtschaftstätigkeit von Görtz beim Immerwährenden Reichstag und in weiteren Reichszusammenhängen eher zurückhaltend hergestellt werden, enthält das Denkmal doch subtile Verweise auf diese Dimension. So wird in der hier einsehbaren rechtsseitigen Aufschrift des Kubus seine Rolle als „Staatsmann“ hervorgehoben, womit die genannten Aktivitäten prägnant umschrieben werden. Zweitens wird Görtz als „Bürger“, mithin als ein integriertes Mitglied der städtischen Elite kenntlichgemacht. Beide Eigenschaften verbanden dem Denkmal zufolge harmonisch in einer Person.
Litertaurhinweis
Karl Bauer: Regensburg. Kunst-, Kultur- und Alltagsgeschichte, Regensburg 62014.
Jolanda Drexler-Herold / Achim Hubel (Bearb.): Regensburg und die Oberpfalz (Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler 5), München / Berlin 1991.
Friedrich Kobler: Das Denkmal für Graf Johann Eustachius von Schlitz genannt Görtz in Regensburg. In: Historischer Verein für Oberpfalz und Regensburg. Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 138 (1998), 115-118.
Norbert Leithold: Graf Goertz. Der Große Unbekannte: Eine Entdeckungsreise in die Goethezeit, Berlin 2010.