Neue Waag

Maximilian Scholler

Baugeschichte

Das in seiner Grundstruktur auf die Jahre um 1300 zurückgehende Gebäude am Osten des Haidplatzes mit vier Flügeln und einem Turm ging 1441 von der Patrizierfamilie Altmann in den Besitz der Stadt Regensburg über. Diese nutzte es fortan als städtische Waage: Sie ermöglichte nicht nur das Einziehen von Zöllen und Abgaben und sorgte damit für Einnahmen in die Stadtkasse, sondern erfüllte auch repräsentative Funktionen, die Reichtum und Bedeutung der Handelsstadt sichtbar machen sollten. Die Anlage wurde mehrfach umgestaltet, wobei besonders der Umbau des Innenhofes im Stile der Renaissance Ende des 16. Jahrhunderts prägend war. Zudem diente sie als Herrentrinkstube für die reichsstädtischen Patrizier und beherbergte ab dem 18. Jahrhundert die Reichsstädtische Bibliothek.

Ansicht des Haidplatzes mit Justitiabrunnen und Neuer Waag (Foto: Maximilian Scholler)

Das Regensburger Religionsgespräch von 1541: Zwischen Hoffnung …

Neben seiner Bedeutung für die städtische Wirtschaft stellte das Gebäude zwischen dem Alten Rathaus und dem Goldenen Kreuz, der Unterkunft Kaiser Karls V. (reg. 1519–1555), schon im 16. Jahrhundert einen wichtigen Ort der Kommunikation im Alten Reich dar: Für das Jahr 1541 hatte Karl V. nämlich einen Reichstag nach Regensburg einberufen. Zentrales Anliegen war ihm die Wiederherstellung der Einheit des Glaubens, nachdem die  Reformation das Alte Reich in zwei konfessionelle Lager gespalten hatte.

Karl V. schlug im Anschluss an entsprechende Bemühungen in Hagenau und Worms 1540 in seiner Proposition zum Reichstag (siehe Quelle unten) vor, wie Vertreter der Katholiken und Protestanten zu einem Ausgleich finden sollten. So kamen zum Regensburger Religionsgespräch einige bedeutende Theologen der Zeit, unter ihnen der päpstliche Kardinallegat Gasparo Contarini sowie der Genfer Reformator Jean Calvin. Johannes Eck und Philipp Melanchthon führten die katholische beziehungsweise die protestantische Partei an; ein Fresko im Innenhof der Neuen Waag erinnert seit 1960 an sie. Am 3. Mai 1541 einigte man sich schließlich auf der Grundlage des sogenannten Regensburger Buches spektakulär in wesentlichen dogmatischen Fragen, sodass große Hoffnung für eine endgültige Lösung aufkeimte.

… und Scheitern

Bald jedoch folgte Ernüchterung. Insbesondere in Bezug auf die Abendmahlslehre kam keine gemeinsame Erklärung der Theologen über die Transsubstantiation zustande. Zudem scheiterte das Vorhaben am Widerstand mächtiger Reichsstände: So lehnte beispielsweise das Herzogtum Bayern die erzielte Einigung ebenso ab wie das Kurfürstentum Sachsen. Weltliche und geistliche (Macht-)Fragen waren im Alten Reich der Frühen Neuzeit auf das Engste miteinander verknüpft, sodass eine Lösung durch Betrachtung nur einer der beiden Felder nicht möglich war. Dem Format des Religionsgesprächs, das sich in den Bahnen akademischer Disputationen bewegte, fehlte dahingehend die Form der Autorität und Repräsentativität, die einem – nie einberufenen – Konzil zugekommen wäre.

Fresko im Innenhof der Neuen Waag (Foto: Maximilian Scholler)

Reichsdiktaturstube

Als der Reichstag ab 1663 permanent in Regensburg tagte, diente die Neue Waag als Reichsdiktaturstube. Hier fertigten die Schreiber, Cancellisten genannt, die Reichstagsprotokolle an. Der Kupferstich von Andreas Geyer zeigt, dass die Bänke in der Stube gemäß den Rängen der Stände angeordnet waren, wobei die kurfürstlichen Cancellisten dem Katheder am nächsten saßen. Der kurmainzische Sekretär diktierte von dort aus als Vertreter des Reichserzkanzlers die Protokolle, die nach ihrer Verschriftlichung an die einzelnen Stände verschickt wurden.

Georg(?) Vogel: Reichsdictatur-Zimmer nach Andreas Geyer, Mappe Räume des Rathauses zu Regensburg, ca. 1725, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Neue Waag: Ort der Kommunikation im Alten Reich und heute

Die Relevanz des interkonfessionellen Dialogs unterstrich 2017 eine Neuauflage des Religionsgesprächs anlässlich des Reformationsjubiläums. Die Unterschiede zu 1541 betrafen dabei jedoch nicht nur den Ort – das Gespräch fand im Reichstagssaal und nicht in der Neuen Waag statt –, sondern auch die Rahmenbedingungen: Die Auseinandersetzung blieb strikt theologisch. Dennoch ist die Neue Waag mit der Idee der Konsenssuche, die für die Verfassung des Alten Reiches konstitutiv war, sowie mit frühneuzeitlichen Prozessen von Bürokratisierung und Verrechtlichung untrennbar verknüpft. Ihre heutige Nutzung als Sitz des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg reiht sich in diese Tradition hervorragend ein.

Aus der Proposition Kaiser Karls V. zum Regensburger Reichstag vom 5. April 1541

,,Und damit die stende abnemen mugen, das ir kay Mt. [kaiserliche Majestät] dise religionsach als das treffenlichist und höchst obligen [Aufgabe], darumb auch gern gefurdert sehen wolte, bey ir selbs mermals zu hertzen und bedencken genommen, haben ir Mt. auf disen wege gedacht, sofer die stende kain fruchtparer, furträglicher mittel wissen, das ir Mt. mit wolbedachtem zeitigem rathe, doch dem augspurgischen abschied [Augsburger Reichsabschied von 1530] one nachtail, etliche guetter gewissen eer und fridtliebenden personen, die auch des hailigen reichs teutscher nation eere, nutz und wolfarth zu furdern genaigt, in geringer anzal aus gemainen stenden und teutscher nation erwellen und verordnen [auswählen], die strittigen artikel der religion notdurftigclich zu examiniren und zu erwegen [zu prüfen]; die auch allen muglichen vleyss furwenden, dieselben irrigen puncten zu vergleichen.“

Audioversion

Klaus Ganzer/Karl-Heinz zur Mühlen: Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche im 16. Jahrhundert. Dritter Band: Das Regensburger Religionsggespräch 1541. 1. Teilband, Mainz 2007, 30-37, hier 36.

Die Wiederherstellung der konfessionellen Einheit des Alten Reiches stellte für Kaiser Karl V. das zentrale Anliegen des Regensburger Reichstags von 1541 dar. Er bemühte sich, wie es seine Aufgabe als Kaiser war, um einen Ausgleich zwischen Katholiken und Protestanten, betonte aber zugleich in der Proposition, nicht hinter den Augsburger Reichsabschied von 1530 zurückfallen zu wollen; dieser hatte die protestantische Confessio Augustana verworfen und die Position der katholischen Kirche gestärkt. Für Karl V. war die religiöse Einheit Basis für Frieden und Wohlfahrt im Alten Reich. Ausgewählte Gelehrte sollten durch eine Vergleichung strittiger Positionen zu ihrer Beförderung beitragen.

Friedrich Bernhard Werner/Johann Matthias Steudlin: Prospect des Platzes genandt auf der Heyde, allwo die Gütter waag ist (Haidplatz mit Blick auf die Neue Waag und den Justitiabrunnen), Kupferstich, 1740, Bayerische Staatsbibliothek, Mapp. XI, 516 g/11

Literaturhinweis

Karl Bauer: Regensburg. Kunst-, Kultur- und Alltagsgeschichte, Regensburg 62014, 301f.

Peter Morsbach: Die Neue Waag in Regensburg. Ein Streifzug durch ihre Geschichte, in: Konrad Maria Färber (Hg.): Regensburg liegt gar schön (Regensburger Almanach), Regensburg 1999, 123-127.

Gerhard B. Winkler: Das Regensburger Religionsgespräch 1541, in: Dieter Albrecht (Hg.): Regensburg – Stadt der Reichstage (Schriftenreihe der Universität Regensburg 21), Regensburg 1994, 72-87.

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