Präsidialpalais am Bismarckplatz

Benedikt Müller

Regensburg in der Krise
Das Ende des 18. Jahrhunderts brachte große Turbulenzen und Veränderungen für ganz Europa mit sich. Als besonders betroffen hiervon erwies sich die alte Reichsstadt Regensburg, die schon in den Jahrzehnten zuvor enorm unter ihrer schwindenden wirtschaftlichen Bedeutung und der Eingrenzung ihres politischen Handlungsspielraums gelitten hatte, ein Schicksal, das auch viele andere Reichsstädte teilten. Der Reiseschriftsteller Karl Gottlob Küttner fällte 1799 ein vernichtendes Urteil über die Situation der Stadt: „Hier ist keine einzige schöne Gasse, kein regelmäßiger Platz, kein Zeichen von Leben, Thätigkeit und Wohlstand“. Erst 1803, mit der Einsetzung des ehemaligen Erzbischofs und Kurfürsten von Mainz, Carl Theodors von Dalberg (1744-1817) als neuen Fürsten von Regensburg begann eine neue Ära der Stadtpolitik und -Gestaltung. Dalberg fungierte hier nicht nur als weltlicher Fürst, sondern auch als Bischof des Bistums Regensburg.

Der Reiseschriftsteller Karl Gottlob Küttner, der Regensburg 1799 besuchte, berichtet von seinen Erfahrungen:


,,Ich erwartete sehr wenig von dieser Stadt und fand weniger, als ich erwartete. Hier ist keine einzige schöne Gasse, kein regelmäßiger Platz, kein Zeichen von Leben, Thätigkeit und Wohlstand! In Regensburg wird nichts fabriciert, das in Betrachtung käme, und der Handel scheint gerade so groß zu sein, als es die Bedürfnisse des bloßen Ortes erfordern. Man sollte denken, schon die Menge der auswärtigen Gesandten müßte der Stadt ein gewisses Leben und etwas von Eleganz geben, wenigstens einige Kutschen in die Gassen bringen; allein wenn ich die des Fürsten von Thurn und Taxis ausnehme, von denen ich ein paar umherfahren sah, so glaube ich nicht, daß ich gestern und heute einen herrschaftlichen Wagen gesehen habe. Selbst Livreebediente sind mir nur wenige vorgekommen. – Die Bevölkerung wird auf vier und zwanzig tausend Menschen geschätzt, die sich aber wohl schwerlich hier finden möchten.“

Lesung des Ausschnitts aus dem Reisebricht Küttners

Um- und Neugestaltung Regensburgs


Zwar verlor die ehemals selbstorganisierte Reichsstadt wie fast alle anderen kleinen Reichsstände somit auch formell ihre Unabhängigkeit, die Regensburger Bürgerschaft freute sich zeitgenössischer Berichte nach aber dennoch über ihren neuen Stadtherrn, von dem sie sich größeren politischen Einfluss und städtebaulichen Aufschwung erhofften. Dalberg investierte tatsächlich viele Ressourcen in die Stadt, so richtete er eine Armenpflege ein, reformierte die Verwaltung und stabilisierte die wirtschaftliche Situation. Gleichzeitig präsentierte er sich insbesondere als Förderer der Kultur und Architektur der Stadt und gestaltete mithilfe seines persönlichen Baumeisters, Emanuel von Herigoyen (1746-1817) viele Orte der Stadt um. Ein gutes Beispiel hierfür ist der heutige Bismarckplatz. Im Norden dieses Platzes ließ Dalberg ein modernes Theater bauen, im Süden des Platzes, an dem wir uns jetzt befinden, entstand zwischen 1804 und 1805 dieses klassizistische Palais für die französische Gesandtschaft am Reichstag – ein Zeichen der Verbundenheit mit Frankreich, dem der Fürstbischof seine Machtposition im Reich verdankte. Das Gebäude, das kostengünstig auf die Mauerzüge eines frühneuzeitlichen Gebäudes aufsetzte, zeichnet sich vor allem durch die prächtige Gestaltung der Nord- also der Platzseite aus. Basierend auf dem Konzept eines französischen Architekten konstruierte Herigoyen eine damals hochmoderne, sechssäulige korinthische Portikusfassade. Die französische Delegation goutierte diese Ehrenbezeugung mit äußert lobenden Berichten über den „Geist der Ordnung und Ökonomie“, der inzwischen in Regensburg herrsche, was Dalbergs Position nachhaltig stärkte.

Drohnenbild vom Haus der Musik (Foto: Bilddokumentation Stadt Regensburg)

Politische Implikationen


Das Palais wie auch Dalbergs Wirken in Regensburg im Allgemeinen spiegelt sehr gut die Zerrissenheit vieler Fürsten in dieser Zeit wider. Einerseits positionierte insbesondere Dalberg sich als lautstarker Verfechter der Reichsidee, auch weil sie für ihn auch noch zu diesen Zeiten die Position vieler geistlicher Landesherren stärkte und einen Rahmen für Austausch und Kooperation bot. Noch 1805, als sich bereits viele der mächtigen Reichsfürsten offen von dieser Idee abgewandt hatten, appellierte der Erzbischof im Reichstag an den Patriotismus und die Einheit des Reiches. Andererseits profitierten diejenigen süddeutschen Fürsten, die mit Frankreich kooperierten, territorial und machtpolitisch massiv von den militärischen Siegen Napoleons gegen andere Reichsstände, ein Faktor, der die Existenz des Reiches infrage stellte. So wurde Dalberg, der zuvor Erzbischof von Mainz gewesen war, auf direkten Befehl Napoleons für sein an Frankreich verlorenes Herrschaftsgebiet unter anderem mit ebenjenem neu geschaffenen Fürstentum Regensburg entschädigt. Gleichzeitig hatte der Bischof weiterhin seine hohen Reichsämter inne.

Das Reich löst sich auf


In einem verzweifelten Versuch, die Erosion des Reiches zu verhindern, bot Dalberg in seiner Funktion als Erzkanzler Napoleon die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches an. Dieser lehnte strategisch abwägend ab und befahl seinen deutschen Verbündeten- und damit auch Dalberg- stattdessen mit einer gemeinsamen Erklärung aus dem Reichsverband auszutreten. Sie gehorchten. Wenige Tage nach diesem Austritt, im August 1806, erklärte der amtierende Kaiser, Franz I., das Heilige Römische Reich Deutscher Nation für aufgelöst

Franz Seraph Stirnbrand: Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg, Öl auf Leinweind, 1812, Historisches Museum Frankfurt, Public domain, via Wikimedia Commons

(Fiktive) Notizen eines Redakteurs des ‚Reichstag-Kuriers‘ vom 08.11.1805:


,,Ein aufgeregter Tag im Reichstag. Das gesamte Reich schaut gebannt nach Österreich, wo die französische Armee sich Wien immer weiter nähert. Gespannt warten wir nun auf die Wortmeldung von Erzkanzler Carl Theodor von Dalberg. Er gilt gemeinhin als Napoleon sehr nahestehend, gleichzeitig muss gesagt werden, dass der Ausgang dieses Krieges durchaus auch über das Schicksal des Reiches, dessen größter Fürsprecher er ist, entscheiden könnte. Der Minister des Erzkanzlers, Freiherr von Albini tritt vor die verbliebenen Vertreter der Stände: Ich schreibe mit:
Ihre kurfüstliche Gnaden, der Kurfürst Erzkanzler, fühlen Sich verpflichtet, im Allgemeinen auf diejenigen Verhältnisse aufmerksam zu machen, in denen sich das deutsche Vaterland befindet. Die Kräfte von Süd- Nord-, Ost- und West-Europa drängen sich in diesem Zeitpunkte in Deutschland zusammen; ein solcher Kampf hat sich erhoben, dessen Beispiel in den Jahrbüchern der Welt selten vorkömmt. Jeder redlich gesinnte Deutsche wünscht und hofft, daß auch in diesem Sturme die deutsche Reichsverfassung fortbestehen werde, man kann sich jedoch nicht bergen, daß in vielen Gemüthern die besorglichen Fragen entstehen:
Was wird aus unserm deutschen Vaterlande in solcher Erschütterung werden? Sollte das seit mehr als tausend Jahren stehende Gebäude der Verfassung einstürzen? Sollten Landfrieden, Reichstags– und Reichsgerichtsordnungen, Reichsverfassung, goldene Bulle, Westphälischer Friede, Wahlkapitulation, nebst so vielen Reichsschlüssen zernichtet werden, die seit Jahrhunderten Werke der Weisheit unserer Väter waren, unter deren Schutz die deutsche Nation sich auf eine biedere rühmliche Weise, in sehr oft glücklichen und mehreren glänzenden Zeiträumen auszeichnete?- Sollte der Name Deutschland, der Name deutscher Nation, der Name eines Volksstammes erlöschen, der ehemals den römischen Koloß besiegte? Der durch Treue, Muth, Arbeitsamkeit und nützliche Erfindungen sich um das Wohl der Menschheit verdient machte?- Schmerzlich ist dieser Gedanke für besorgte gutgesinnte Gemüter.
Se. Kurfürstliche Gnaden, der Kurfürst Erzkanzler wünschen und hoffen, mit reiner deutscher Vaterlandsliebe, daß ein solches Unglück vermieden werde 1) durch allgemeines Bestreben, die Einheit der deutschen Reichsverfassung zu erhalten; 2) durch Bereinigung der Gemüther, in Befolgung der Reichsgesetze; und 3) durch einstimmige Verwendung aller und jeder Deutschen, um einen guten, ehrenvollen, dauerhaften Frieden zu erwirken.“

Eine überraschende Wendung: Diese Notiz muss als Affront gegen Napoleon wie auch gegen die süddeutschen Staaten, die auf seiner Seite Krieg führen, gelesen werden. Im Saal ist eine deutliche Unruhe zu spüren, manche werfen dem Erzkanzler Heuchelei vor, hat er doch durch Wort und Tat den Machtausbau Napoleons und dessen offensichtliche Aushöhlung der Reichsverfassung mit angetrieben. Andere Vertreter drücken ihre Unterstützung aus. Erzkanzler Carl von Dalberg gilt trotz seines uneindeutigen Wirkens als der lautstärkste Unterstützer der Reichsidee, auf der natürlich auch ein großer Teil seines politischen Einflusses beruht. Was jedoch unumstößlich scheint: Wohl und Wehe des Reiches werden nicht mehr hier entschieden, sondern auf einem zukünftigen, blutigen Schlachtfeld. Sollte Frankreich siegen, könnte die jahrhundertelange Geschichte des Reiches zu Ende gehen. Wandel liegt in der Luft.

Lesung der (fiktiven) Notizen eines Redakteurs des ‚Reichstag-Kuriers‘

Heinrich Klonke: Bild des Gebäudes und der Promenade des Späteren Bismarckplatzes, Aquarell, 1827 (gedruckt nach Reidel, Hermann: Carl von Dalberg und sein Stadt- und Landbaumeister Emanuel Joseph von Herigoyen, in: Weber, Camilia (Hrsg.): Bischof und Landesherr in Regensburg: Carl Theodor von Dalberg (1744-1817) zum 200. Todestag. Regensburg, 2017, 39.)

Mit dem Bau des Palais auf der einen sowie des Theaters auf der anderen Seite ging auch eine Neugestaltung des jetzt entstandenen ‚Theaterplatzes‘ einher, der durch die Pflanzung von vier Baumreihen begrünt und als Promenade eingerichtet wurde.. Dalberg war überzeugt, durch die Förderung der Künste wie auch des Schönen im Allgemeinen die Lebensqualität der ihm untergeordneten Bürger steigern zu können, was er auch in einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1805 offensiv postuliert. Das Gebäude wurde mehrfach umfunktioniert, wie auch die Unterschrift des Aquarells zeigt: „Eh’maliges Finanz- Direcktions-Gebäude in Regensburg.


Literaturhinweis

Martin Dallmeier/Klaus Heilmeier/Hermann Reidel (Hgg.): Das Fürstentum Regensburg. Von der freien Reichsstadt zur bayerischen Kreishauptstadt, Regensburg 2003.

Herbert Hömig: Carl Theodor von Dalberg. Staatsmann und Kirchenfürst im Schatten Napoleons, Paderborn 2011.

Karl Gotttlob Küttner, zitiert nach:Eberhard Dünninger: Regensburg. Das Bild der Stadt im Wandel der Jahrhunderte, Amberg, 1995, 30.

Stadt Regensburg (Hg.): Haus der Musik. Regensburg 2015, 32-77.

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