Codex des Ambrosius Mayrhofer

Katelijne Schiltz

Gerade im Zeitalter der Konfessionalisierung verfolgten die Äbte von St. Emmeram aufgrund der zweifachen territorialen Verstrickung des Klosters mit anderen Reichsständen, der Stadt Regensburg und dem Herzogtum Bayern eine wohl überlegte, pragmatische Politik, die auf diplomatisches Geschick und Dialog setzte. Dass man diese Intention auch mit musikalischen Mitteln zum Ausdruck bringen wollte, zeigt sich in einem aufwendig illuminierten Chorbuch, das Ambrosius Mayrhofer (um 1530–1583), Konventuale des Klosters St. Emmeram anfertigen ließ. Er dedizierte es dem evangelischen Inneren Rat der Reichsstadt Regensburg, innerhalb deren Mauern sich das exemte Territorium des reichsunmittelbaren Klosters befand. Auf der Widmungsseite werden nicht nur die Ratsherren genannt und mit ihrem jeweiligen Wappen gezeigt, sondern auch die Bügelkrone des deutschen Kaisers und die Wappen des Reiches und der Stadt.

Der Codex enthält fast ausschließlich Musik vom damaligen Kapellmeister des bayerischen Herzogs Albrecht V. Dieser hatte im April und Mai 1567 beim Reichstag in Regensburg aufgrund der Abwesenheit von Kaiser Maximilian II. den Vorsitz übernommen, residierte im Kloster St. Emmeram und könnte bei der Übermittlung der Musik eine Rolle gespielt haben.

Ambrosius Mayrhofer: Jacquet de Mantua, Fratres, ego enim accepi, 1567, Museen der Stadt Regensburg/Stadtarchiv Regensburg, K 2020/4 bzw. I Ah 15

Während Mayrhofer Kompositionen Lassos auswählt, deren Texte konfessionell ‚unbedenklich‘ bzw. neutral sind, stellt im Vergleich dazu die Eröffnungsmotette Fratres, ego enim accepi in zweifacher Hinsicht eine Ausnahme dar: Es ist das einzige Stück, das nicht von Lasso komponiert wurde, sondern aus der Feder des französischen Komponisten Jacquet de Mantua stammt. Im Text wird der Abendmahlritus beschrieben: Jesus Christus ist sowohl unter der Gestalt des Brotes als auch unter der Gestalt des Weines präsent – ein damals konfessionell brisantes Thema. In den Illuminationen visualisiert Mayrhofer jedoch eine konziliante Sicht auf das Abendmahl in beiderlei Gestalt und demonstriert damit dem Inneren Rat im Bild, dass er mit dessen konfessionellen Positionen vertraut ist: eine wesentliche Bedingung für Koexistenz und Dialog.

Live-Mitschnitt des Konzerts „Deus, canticum novum cantabo. Geistliche Vokalmusik aus den Codices St. Emmeram und Mayrhofer“ mit Singer Pur (Regensburg, Basilika St. Emmeram, 24. September 2019)

Literaturhinweis

Barbara Eichner: „Musical Diplomacy in a Divided City. The Lasso-Mayrhofer Manuscripts“, in: Early Music 48 (2020), 55–74.

Katelijne Schiltz und Dominic Delarue: „Musik und Bild im interkonfessionellen Dialog: Das Chorbuch des Ambrosius Mayrhofer für den Rat der Stadt Regensburg“, in: St. Emmeram: Liturgie und Musik vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit, hrsg. von Harald Buchinger, David Hiley und Katelijne Schiltz (= Forum Mittelalter-Studien 19), Regensburg: Schnell & Steiner, 2023, 345–374.

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