Dominik Müller
Das wahrscheinlich im 8. Jahrhundert gegründete und im 9. Jahrhundert erstmals erwähnte Frauenkloster Niedermünster wurde ursprünglich vor allem von den bayerischen Herzögen und deren jeweiligen Familien als deren Hauskloster und Grabstätte protegiert. Die bayerische Herzogswitwe Judith (gestorben bald nach 985) trat selbst in das Kloster ein, stattete es mit Reliquien aus dem Heiligen Land aus und setzte ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu den ottonischen Kaisern für Privilegien und Besitzerweiterungen für das Kloster ein, sodass sie nach ihrem Tod zur eigentlichen Gründerin des Klosters stilisiert wurde.
Als Reichsstift in der Politik
Im Jahr 1002 wurde das Kloster von Heinrich II. als Reichsabtei zum Reichsstift erhoben. Damit waren einerseits die freie Wahl der Äbtissin, die nun eine Reichsfürstin war, der Schutz durch den König oder Kaiser sowie Immunität verbunden, andererseits musste das Damenstift den sogenannten Königsdienst (servitium regis) leisten, das heißt zur Versorgung und Beherbergung des Königs während seiner Anwesenheit in Regensburg beitragen. Das Damenstift Niedermünster gehörte seitdem zu den geistlichen Territorien des Alten Reiches und war ab 1495 auch als Reichsstand in der Reichsmatrikel geführt; seine Vertreter nahmen auf der geistlichen Bank im Reichsfürstenrat des Reichstags nach St. Emmeram und vor dem Regensburger Damenstift Obermünster Platz, unterzeichneten ab 1516 die Reichsabschiede mit und nahmen an den Versammlungen des bayerischen Reichskreises ab 1538 teil. Auch eigene Konflikte, wie der Rangstreit mit Obermünster, wurden vor den Institutionen des Reiches, nämlich vor dem Reichshofrat entschieden.
Spätere Versuche, den Status des Stiftes anzufechten, es als Verhandlungsmasse bei territorialen Tauschprojekten zu verwenden oder das Stiftsleben neu zu regulieren, wurden teilweise durch das persönliche Engagement der Äbtissinnen abgewehrt. So erschien Äbtissin Tuta II. persönlich auf dem Fürstentag von Würzburg von 1216, um einen möglichen Tauschhandel zwischen Kaiser und Bischof zu verhindern und die Reichsunmittelbarkeit bestätigen zu lassen. Es folgte die endgültige Anerkennung des reichfürstlichen Status und die Befreiung vom Königsdienst durch Friedrich II. (1194–1250). Doch auch danach wurde das Stift mit Verpflichtungen auf Reichsebene, wie dem Stellen von Soldaten, der Beteiligung an der Kriegsfinanzierung oder der Unterhaltung des Reichskammergerichts konfrontiert.
Auszug aus der Urkunde Kaiser Heinrichs II. aus dem Jahr 1002, in der er dem Kloster Niedermünster Königsschutz, Immunität und Wahlrecht verleiht sowie seinen Besitz bestätigt:
,,Proinde notum sit omnibus fidelibus nostris praesentibus scilicet et futuris, qualiter venerabilis abbatissa nomine Oda per interventum dilectae coniugis nostrae Cungundae videlicet reginae nostram adiit maiestatem suppliciter rogitans, ut monasterium sanctimonialium, cui ipsa nunc temporis infra Radesponensem civitatem praesidere videtur, quod dive memoriae avia nostra Ivditha olim honore sanctae dei genitricis Mariae a fundamentis in abbatiam erexit et donis praediorum inter alia pro loco ditavit, in nostrum mundiburdium et regie immunitatis tutionem reciperemus cum omnibus pertinentiis eius.“
Daher sollen alle unsere gegenwärtigen und natürlich auch künftigen Gläubigen wissen, wie die ehrwürdige Äbtissin Uta durch eine Intervention unserer freilich geliebten Gemahlin Königin Kunigunde flehentlich mit der Bitte an unsere Majestät herantrat, dass wir das Nonnenkloster, dem sie selbst nun innerhalb der Stadt Regensburg vorzustehen scheint, das unsere Großmutter göttlichen Andenkens Judith einst zur Ehre der heiligen Muttergottes von Grund auf als Abtei errichtet hat und mit Landschenkungen unter anderem für diesen Ort beschenkt hat, in unsere Schutzgewalt und den Schutz königlicher Immunität mit allen dazugehörigen Verpflichtungen aufnehmen sollen.
MGH DD H II., Nr. 29, Z. 12–19; übersetzt von Dominik Mülller.
Wie der Urkundenauszug zeigt, stellte Kaiser Heinrich II. (973–1024) das Kloster Niedermünster in Regensburg unter seinen, d.h. den Schutz des Kaisers des Alten Reiches, wodurch Niedermünster zum reichsunmittelbaren Reichsstift erhoben wurde. Das erwähnte Herantreten der dortigen Äbtissin Uta von Kirchberg (Amtszeit 1002–1025) an den Kaiser mit Hilfe seiner Gemahlin, Kunigunde von Luxemburg (um 980–1033), verweist auf die gängige Praxis der Herrschaftsausübung von Frauen in der Vormoderne, eigene Netzwerke zu aktivieren, bei der Herrschergemahlin mit dem eigenen Anliegen vorzusprechen und auf diese Weise Einfluss auf die Entscheidungen des Herrschers zu nehmen.
Leben im Damenstift
Das Damenstift selbst war ein Ort der Erziehung, Wohltätigkeit, der Herrschaftsmemoria und Bestandteil adeliger Netzwerke. Die adeligen Stiftsdamen oder Chorfrauen, die sogenannten Kanonissen, verbanden religiöses und standesgemäßes Leben. Nur die Äbtissin musste ein Gelübde ablegen, die Stiftsdamen mussten nicht in Klausur leben und konnten als Teil des adeligen Heiratsmarktes später auch wieder austreten. Der kulturelle, soziale und politische Rang des Stiftes auf Reichsebene konnte später nicht gehalten werden. Es wurde zunehmend zu einer Versorgungsstätte für Töchter des landständischen Adels und der Reichsritterschaft aus dem süddeutschen Raum. Die Barockisierung der Stiftsgebäude im 18. Jahrhundert und das standesbewusste Auftreten der Stiftsdamen bei Empfängen, Namenstagen des Kaisers und anderen Feierlichkeiten im Rahmen des Immerwährenden Reichstags sind Belege für das adelige Selbstverständnis der Stiftsdamen bis zum Ende der Frühen Neuzeit.
Der Stich wählt eine ungewöhnliche Perspektive: Das Reichsstift ist nicht in der Frontalansicht zu sehen und die Stiftskirche nur im Hintergrund zu erahnen. Die barockisierten und modernisierten Wohn- und Verwaltungsgebäude sind hervorgehoben und verdeutlichen das standesbewusste Auftreten der adeligen Stiftsdamen.
Auszug aus der Trauerrede anlässlich des Todes der Äbtissin Maria Franziska Xaveria von Königsfeld 1793:
,,Kein Wunder, daß der jeßt glorwürdigst regierende Kaiser Franz unsrer preiswürdigsten Fürstinn seine ganze Gunst geschenket; ihr den süßen Namen einer einsichtsvollen Fürstinn beygeleget, und bey seiner letzten Durchreise in Regenspurg unter entzückenden Ausdrücken ihre männliche Klugheit bewundert habe. Wie vieles gewann sie dadurch? Gunst und Beystand, und was noch? auch den wärmsten Kaisers=Dank, da sie jüngsthin nebst den gewöhnlichen Reichs- und Kreißanlagen einen freywilligen Beytrag von tausend Thalern in die Kriegskasse geliefert.“
Felix Sutor: Trauerrede auf die hochwürdige […] Maria Francisca Xaveria Josepha […] Fürst-Äbtissin zu Niedermünster in Regensburg, München 1793.
Die gedruckte Trauerrede, die gattungsbedingt die verstorbene Person stilisierte und zum Ideal erhob, legt schon in ihrem Deckblatt die Betonung auf den Status der zu betrauernden Maria Franziska Xaveria von Königsfeld (Amtszeit 1789–1793) als Reichsfürstin des Alten Reiches. Der Quellenauszug verdeutlicht die, vielleicht auch stilisierte, enge Verbindung zwischen Äbtissin und Kaiser, die Franz II. (1768–1835) sogar einen freiwilligen finanziellen Beitrag des Reichsstifts Niedermünster zur Kriegsfinanzierung eingebracht haben soll. Auch am Ende der Frühen Neuzeit und nur ein Jahrzehnt vor dem Ende des Alten Reiches und damit auch der Institution der Reichsstifte wurde die unmittelbare Beziehung zwischen Kaiser und Reichsfürstin, zwischen Reich und Reichsstift hervorgehoben.
Das Ende der Reichsunmittelbarkeit
Mit dem Ende des Reiches kam auch das Ende für die geistlichen Territorien. Das Damenstift Niedermünster wurde 1803 säkularisiert und fiel 1810 mit Regensburg an das Königreich Bayern. Das erklärt, warum zwei kostbare Objekte, die von der kulturellen Blüte des Klosters im Hochmittelalter zeugen, in Instituten des Freistaates Bayern verwahrt werden: Das Giselakreuz, eine Stiftung der ungarischen Königin Gisela, und der Uta-Codex, ein Evangelistar der Äbtissin Uta, befinden sich heute in der Schatzkammer der Münchener Residenz bzw. der Bayerischen Staatsbibliothek. Die Regensburger Stiftsgebäude beheimaten heute den Bischof von Regensburg und sein Ordinariat, während die alte Klosterkirche zur Dompfarrkirche wurde. Die Tradition einer Bildungseinrichtung lebt heute im Namen der Mädchenrealschule Niedermünster fort.
Literaturhinweis
Claudia Märtl: Die Damenstifte Obermünster, Niedermünster, St. Paul, in: Peter Schmid (Hg.): Geschichte der Stadt Regensburg, Bd. 2, Regensburg 2000, 745–763.
Matthias Mayerhofer (Hg.): Seidenglanz für Hof und Altar. Der Paramentenschatz von Niedermünster in Regensburg 17. bis 20. Jahrhundert (Schriftenreihe zu den Regensburger Reichsstiften 1), Regensburg 2015.
Alexandra Risse: Niedermünster in Regensburg. Eine Frauenkommunität in Mittelalter und Früher Neuzeit (Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 24), Regensburg 2014.
Teresa Schröder-Stapper: Fürstäbtissinnen. Frühneuzeitliche Stiftsherrschaften zwischen Verwandtschaft, Lokalgewalten und Reichsverband, Köln u.a. 2015.